Schriftzug des MZW, welcher für das Fast-50-Jahr-Fest 2004 kreiert wurde.

Geschichte des Militärmarsches

Auszüge aus einer Dissertation von Achim Hofer

1. Ägypten
Untersuchungen der im Grabe Tut `Anch Amons entdeckten Trompeten zeigen, daß einerseits der Klang "dumpf und rauh" ist und daß man allenfalls zwei verschiedene Töne auf jeder der Trompeten erzeugen kann. Von daher wird man die altägyptische Heeresmusik grundsätzlich auf Signalmusik beschränken dürfen. Eine musikalische Verwendung dieser Instrumente in unserem Sinne (etwa als "Marsch-Musik") kam also nicht in Betracht.

2. Israel
Von Ägypten ausgehend gelangte die Trompete nicht nur zu den Römern und Griechen, sondern auch zu den Israeliten. Vor dieser Zeit wurde zunächst das Schofar vom Kultinstrument-kultischen Kriegsinstrument zum Kriegsinstrument des profanen Heeres. Hier hatte es allerdings reine Signalfunktion. Erst unter David wird die Tromete im Zuge der Modernisierung in Kult und Heer übernommen, nachdem sie aus Ägypten schon bekannt war. Über die "Musik" der Trompete, die über die reine Signalfunktion des Schofar hinausging, gibt ausführlich die 1947 am Toten Meer gefundene "Kriegsrolle von Qumran" Auskunft. Danach wurde die Tromete zum "Etappendienst" und zum "Frontdienst" verwendet. Zum Etappendienst sind alle Aufgaben zu rechnen, die mit dem Lagerwesen zusammenhängen, wie Aufbruch, Versammlung, Wecken usw. Der Frontdienst umfaßt Funktionen, bei denen die Trompeten im eigentlichen Kampf, der Aufstellung der Truppen, dem Geplänkel der Leichtbewaffneten usw. mitwirkten.
Geben diese Angaben der Kriegsrolle Hinweise auf eine Kriegsmusik, die über das reine Signalwesen hinausgeht, so ist jedoch auch im alten Israel die nicht signalhaft-funktionale Musik von einer "Marsch-Musik" noch weit entfernt, wenn auch die Grundfunktion einer solchen hier schon angelegt ist.

3. Griechenland
Sofern also bei den Griechen - wie aus der Literatur hervorgeht - erstmals eine "Musik zum Marschieren" zu finden ist, so wird man jedoch keineswegs von "Märschen" in unserem Sinne sprechen können.

4. Rom
Charakteristisch für ihre [der Römer] Militärmusik war die Entwicklung eines differenzierten Signalwesens, doch besaß man in späterer Zeit auch Marschmusik, wie es einigen literarischen Belegen und bildlichen Denkmälern der Kaiserzeit zu entnehmen ist.
Die Wirkung solch kriegerischer Melodien "war derart, daß zum Beispiel die Kriegselefanten der Karthager in der Entscheidungsschlacht bei Zama (202 v.u.Z.) scheu wurden und sich gegen die eigenen Reihen wandten.
Außer "kriegerischen" Melodien scheinen auch andere als Kampf- bzw. Marsch-Musik geeignet gewesen zu sein: "Als die Römer vor Arminius fliehen mußten, wurden sie vor der Vernichtung einmal dadurch bewahrt, daß Trometer ein trochäisches Stück bliesen und die Verfolger glaubten, es rücke eine neue Abteilung der Römer heran. Geht man davon aus, daß die römische Militärmusik neben ihrem differenzierten Signalwesen auch aus "Marsch-Musik" bestand, so scheint jedoch der Ausdruck "Marsch" im Sinne einer Kompositionsgattung zu weit gegriffen.

5. Einfluß der Kreuzfahrer
Undenkbar ist die Herrausbildung einer europäischen militärmusikalischen Praxis ohne den Einfluß des Orients. Durch die Kreuzzüge kamen europäische Ritterheere mit dem islamischen Kulturbereich in Berührung. Unter dem Beutegut, das die Kreuzfahrer mitbrachten, befanden sich auch Musikinstrumente. Beeindruckt durch die Militärkapellen der arabischen Heere organisierte man in Europa nach diesem Vorbild Musiker und machte die Militärmusik zum Bestandteil der eigenen Kriegstechnik.

6. Besetzung
Von Bedeutung für die Militärkapellen wurden die Stadtpfeiferkapellen. Weist dies zwar auf das Spielen im nichtmilitärischen Bereich hin, so ist doch in unserem Zusammenhang von Bedeutung, daß die Stadtkapellen auch eine "Marsch-Funktion" hatten.
Die sich im 15. Jahrhundert ausprägende Gattung der Trompeten- und Paukenmusik, ausschließlich an die fürstliche Reiterei und die Höfe gebunden, brachte den Stand der sogenannten Hof- und Feldtrompeter und Heerpauker hervor, der sich durch besondere Rechte und Privilegien von den Stadtpfeifern abhob.

7. "Märsche" des 13. und 14. Jahrhunderts
Wenig ist über die genaue Darbietung oder Leistung der Trompeter vor dem 15. Jahrhundert bekannt.

8. Trommel und Pfeiffe bis um 1560
Die für die Landsknechte und ihren legendären "Landsknechtsmärschen" typische Kombination von Pfeiffe und Trommel läßt sich bis ins Mittelalter zurückverfolgen.
Ist auch der genaue Zeitpunkt der Einführung von Flöte und Trommel im Heer nicht exakt zu bestimmen, so kann doch das 15. Jahrhundert als dasjenige angesehen werden, in welchem sich die auf zwei Spieler verteilte Kombination von Flöte und Trommel als militärmusikalische Instrumente auf europäischen Böden entfaltete.
Bei der Trommel handelt es sich um die sogenannte Landsknechtstrommel oder Feldtrommel, eine zweifellige zylinderförmige Röhrentrommel, deren Felle durch eine im Zickzack verlaufende Leine gespannt wurden. Über dem unteren Fell verlief häufig eine Schnarrseite.


Commons Wikimedia

Den Hof- und Feldtrompetern war untersagt, mit ungelernten Kameraden oder Nichtzünftlern zu musizieren; sie hatten in geschlossener Gemeinschaft streng auf ihre Rechte und Privilegien zu achten. So war es ein Gebot der Selbsterhaltung, das musikalische Gebrauchsgut nicht aufzuschreiben, sondern nur in mündlicher Unterweisung weiterzugeben. Doch schon um 1600 wurde das Verbot von zwei deutschen, aber in dänischen Diensten stehenden Hoftrompetern durchbrochen.
Ein grundsätzliches Problem, das in der einschlägigen Literatur nicht beachtet wird, ist folgendes: Wenn man überprüfen will, ob Trommel und Pfeifer "Märsche" spielten: was ist damit gemeint? Und was ist damit gewonnen, wenn ich die Musik der Landsknechte, die es ja zweifellos gab, mit "Marsch" bezeichne, also mit einer Gattungsbezeichnung verbinde, ohne überprüfen zu können, ob sie zutrifft?
Da Originalbelege fehlen (bis ca. 1580), kann man zunächst versuchen, von der Funktion her Rückschlüsse auf die Musik zu ziehen.
Die bisherigen Angaben darüber, was Trommler und Pfeifer "wirklich" spielten, mögen recht spärlich erscheinen, doch sei daran erinnert, daß die Spieler "aus dem synn" musizierten. Kann damit zum einen das Auswendig-Spielen gemeint sein, so dürfte anderseits auch sicherlich in großem Maße improvisiert worden sein. Diese Improvistion nahmen mit der Zeit immer festere Formen an.
Zweifellos ist richtig, daß z.B. die Trommler und Pfeifer der Landsknechte nicht nur "eingeübte" Stücke spielten. Denn es ist kaum vorstellbar, daß bei der Bedeutung, die Tanzen und Singen für die Landskneche hatten, Trommler und Pfeifer unabhängig davon musiziert hätten. Selbst den "Bearbeitungen" historischer Pfeifermelodien von Deisenroth ist ein (sicherlich nicht nur durch die Bearbeitung bedingter) "tänzerischer" Charakter nicht abzusprechen. Insbesondere die alten englischen und schottischen Pfeifer- bzw. Dudelsack-Stücke ähneln in ihrem Charakter sehr dem britannischen Volkstänzen. Der Dudelsack ("Sackpfeife"), dies sei hier abschließend noch gesagt, war als "the primary martial instrument of the Scotch and Irish" das Pendant zur Pfeife in den anderen europäischen Ländern. In Deutschland konnte es nicht Fuß fassen: "Dieses Instrument weigerten sich schon die Stadtpfeifer des 15. Jh. zu spielen [...]. Hier wurde ein Instrument, das sich in Schottland als das Militärmusikinstrument schlechthin etablierte und welches dort "provided excellent marching music", als Instrument der "Bierfiedler" und vagabundierenden Musikanten streng verpönt.

Dudelsackspieler
ETH-Bibliothek Zürich

9. Erste Zeugnisse des Begriffes "Marsch"
Das Wort "Marsch" geht auf das französische "marche" zurück, "welches bereits im 16. Jahrhundert als Ausdruck für eine regelmäßigeTruppenbewegung gebraucht erscheint und in die deutsche Sprache zu dieser Zeit herübergenommen wird, als nach dem Sinken der landsknechtischen Kriegsweise das Ausbilden der Heere nach französischem Vorbilde aufkommt. Dies läßt vermuten, daß es sich bei den "Märschen", die in der militärischen Fachliteratur des 16. Jahrhunderts erwähnt wurden, um "Schlagarten" handelte, und daß schließlich im 17. Jahrhundert Trommel-"Märsche" sich verfestigt hatten und aufgezeichnet wurden. Erste Noten militärischer Musik für die Pfeife finden sich in William Barriffes Werk "Mars his Triumph" (London 1639).
Die Pfeife hatte zu dieser Zeit sicherlich die Möglichkeit, beim Schlag der Trommel zu improvisieren. Genaueres läßt sich über sie zunächst nicht sagen, was insofern auch nicht gravierend ist, als sowohl durch die Literatur als auch durch die Noten gezeigt wird, daß der "Marsch" zunächst nur für die Trommel galt.

10. Erste Märsche der Kunstmusik als früheste Marschmusik
Die ältesten erhaltenen Melodien von "Märschen" (und damit allererste Marschzeugnisse überhaupt) stammen nicht aus dem Bereich des Militärs, sondern sind der stilisierten (Kunst-)Musik zuzuordnen. Es handelt sich zum einen um den "Thomas Kings March", der sich in einer um 1590 geschriebenen Lautentabulatur befindet, zum anderen um verschiedene "Märsche" aus William Byrds "My Ladye Nevells Book" (1591).
Hatte bis ins 17. Jahrhundert hinein die Trommel die Überhand (sie gab den "Ton" an!), so kehrte im Verlauf der 1. Hälfte des 17. Jahrhunderts das Verhältnis um: Die Pfeife spielte bestimmte Melodien zum "Marsch" der Trommel; erstere gab den "Ton" an, letztere zog sich zurück auf eine Begleitfunktion.
Zu der Zeit, als die Zeitgenossen mit "Marsch" verschiedene Spielweisen der Trommel bezeichneten, entstand in der Kunstmusik Märsche, die zwar als Nachahmung militärischer Musik verstanden wurden, als Kompositionen für die Leute oder das Virginal aber stilisierter Natur waren. So paradox es klingen mag: Gebrauchsmusik, die erst etliche Jahre später in ihrem ursprünglichen, militärischen Bereich sich als Gattung etablierte, trug, indem sie als Anregung für Kompositionen in der Kunstmusik fungierte, dazu bei, daß die Kunstmusik sozusagen "blitzartig" ihre eigene (der Gebrauchsmusik) spätere Entwicklung vorwegnahm. Die Kunstmusik hatte in dem Moment, in dem sie konkrete militärische Gebrauchsmusik als Anregung zu Kompositionen verwendete, deren gattungsmäßige Entwicklung schon eingeholt.
Inwieweit die besprochenen Märsche der Kunstmusik auch dazu beitrugen, daß sich später der militärische Gebrauchsmarsch als Gattung etablierte, mag als Frage offen bleiben.
Denkbar wäre auch, daß sich im Zuge der Kunstmusik auch im militärischen Bereich das Bewußtsein einer "Gattung" herausbildete.
Mit verschwinden der Landsknechte bzw. der "beweglichen" Heere kam in Europa das stehende Heer auf und mit ihm auch die ersten Militärkapellen. "In den kunstvoll gegliederten und durch Statussymbole unterstrichenen gesellschaftlichen Ordnungen vor dem Anbruch der Aufklärung hatte die Militärmusik auch nach der Einrichtung "stehender Heere" ihren festen Platz.
Wie von der Musik am Hofe zu Versailles im allgemeinen, gingen auch von den französichen Märschen des 17. Jahrhunderts Anregungen und Einflüsse auf die Musik anderer europäischer Fürstenhöfe aus. Dies verwundert erst recht nicht vor dem Hintergrund des überhaupt "starken französischen Einflusses auf dem Gebiet des Kriegswesens, der sich in der militärischen Terminologie niedergeschlagen hat."

11. Trompeten- und Paukenmusik
Bekannt sind Trompeter und Pauker als "Repräsentationsmittel" regierender Fürsten. "Feudale Selbstdarstellung" und "Kaiserliches Repräsentationsbedürnis" sind den Trompetern Beispielsweise auf den Bildern zum Triumphzug Kaiser Maximillians I. zu entnehmen.


Universitätsbibliothek Graz

Im Laufe des 15. und 16. Jahrhunderts kam dem Repräsentationspflichten der Trompeter immer größere Bedeutung zu. Mehr und mehr Trompeter traten in höfischen Dienst. Ihre Zahl war eine Art Gradmesser für das Bedürfnis des betreffenden Renaissancefürsten nach Zurschaustellung seiner Macht.
^ Schon mit Beginn des 15. Jahrhunderts standen die Trompeter unter kaiserlichen Schutz. Ohne kaiserliche Erlaubnis durfte keine Stadt Trompeter in ihren Dienst stellen. Im Jahre 1548 wurde auf dem Augsburger Parteitag den höfischen Trompetern erlaubt, sich in Zünften zusammenzuschließen. Nachdem dies 1577 erneut vom Reichstag bestätigt wurde, kam es 1623 zur Gründung einer überregionalen Reichszunft der Trompeter und Pauker. Aber schon im Spätmittelalter hatten auch städtische Musiker das Recht, die Trompete zu spielen. In Ausnahmefällen, vor allem in freien Reichsstädten, war es den Stadtmusikanten erlaubt, bei der Kirchenmusik die Trompete zu blasen. Anstellungen städtischer Musiker als Turmbläser sind schon Ende des 13. Jahrhunderts in Italien nachweisbar. Galten umherziehende Musiker (wie auch Schauspieler) im Mittelalter als "ehrlos", weil sie keinen festen Wohnsitz hatten, so kam es im 15. Jahrhundert zur Gründung von Bruderschaften und Stadtpfeifereien. Durch solche Zusammenschlüsse verbesserte sich die Stellung der Musiker: Sie genossen eine Ausbildung und wurden somit vom Makel der "Ehrlosigkeit" befreit. Seit der Ordnung von 1548 kam es nun ständig zu Streitereien zwischen Hoftrompetern und städtischen Musikern. Ein Grund dafür war, daß einige Städte Trompeter einstellten, ohne sich um eine Genehmigung dafür zu bemüht zu haben. Dies war keine Ausnahme, denn letztlich wurde mit der Instanz der kaiserlichen Genehmigung nur sanktioniert, was in zahlreichen Städten auch ohne Genehmigung des Landesherrn längst existierte. Schließlich ist im 16. Jahrhundert eine vermehrte Anstellung von Ratstrompetern in Städten mittlerer Größe feststellbar.
Die Hoftrompeter fürchteten einerseits darum, daß "bürgerliche" Anlässe die Repräsentationsfunktion der Trompete mindern könnten; anderseits hatten sie Angst, daß der Eintritt "schlechter" städtischer Trompeter in das Amt des Hoftrompeters das Niveau insgesamt senken könnte. Sehr plastisch drückt dies der Hof- und Feldtrompeter Caspar Hentzschel in seiner 1620 erschienen Schrift "Oratorischer Hall und und Schall / Vom löblichen Ursprung, lieblicher Anmuth und empfindlichen Nutzen der rittermeßigen Kunst der Trommeten" aus: "Nun ist aber vnser Kunst jetziger Zeit in großer gefahr / nicht allein deß großen defects vnd mangels / dadurch vnverstendige Leute vnser Stand dermaßen verkleinert vnd in verachtung gesetzt wird / [...] sondern auch [...] in dem auß vnvollkommener vnterrichtung vnd begreiffung / so viel stümpler vnd hümpler in allen Städten und Dörffern sich finden / vnd [...] wie Mausekoth vnter Pfeffer zu vnsern Consorten begeben / das ein ehrlicher und erfahrener Trommeter seine Kunst fast möchte schewen tragen."
Allerdings: Das Verhältnis von Trompetern und Stadtmusikanten war insofern etwas grotesk, als die beiden Gruppen im Grunde mehr Gemeinsamkeiten als Gegensätze aufzuweisen hatten; so wie sich die Hoftrompeter von den Stadtmusikanten distanzierten, so taten es letztere gegenüber den ungelernten, "unehrlichen" Musikanten: den "Stümpern", "Pfuschern" und "Bierfiedlern". Interessant ist im Zusammenhang des Verhältnisses von Stadtmusikanten und Hoftrompetern (als Militärmusiker), daß auch erstere sich durch die letzteren beeinträchtigt fühlen konnten, als beispielsweise nach dem 30-jährigen Krieg "Scharen entlassener Militärmusiker das Land überschwemmte und auch in den Städten auf Erwerb ausging."
Als ein letzter Vertreter des Standes der Hof- und Feld-Trompeter und Heerpauker gilt Johann Ernst Altenburg, der in seinem Bereits zitierten, 1795 erschienen Buch "Versuch einer Anleitung zur heroischen-musikalischen Trompeter- und Pauker-Kunst" einen letzten Versuch unternahm, einen im Grunde schon seit längerer Zeit untergehenden Stand zu neuem Leben zu verhelfen. Daß aber sogar noch zu seiner Zeit Streitereien zwischen Hoftrompetern und städtischen Musikern nicht beendet waren, dies belegt anschaulich Christoph-Hellmut Mahling in seinem Aufsatz über "Münchener Hoftrompeter und Stadtmusikanten im späten 18. Jahrhundert. Ein Streit um das Recht die Trompete zu blasen."
Bereits 1959 schrieb Walter Biber: "[...] es ist nicht zu übersehen, daß Militärmusik im 18. Jahrhundert ausschließlich Bläsermusik war und auf der Stufe der Kunstmusik stand. Gerade diese geschichtliche Tatsache wurde nicht hinreichend erkannt. Alles, was ins Gebiet der militärischen Musik zu verweisen war, kam recht dürftig, ja sogar abschätzend zur Behandlung. Man muß den Biographen freilich zugute halten, daß sie ihre wertvollen Beobachtungen in einem Zeitpunkt anstellten, wo die Militärmusik bereits zum abgesunkenen Kulturgut gehörte. Die Folge war, daß die Sichtung des militärmusikalischen Schaffens im 18. Jahrhundert von einem falschen Standpunkt ausging, in Wahrheit zeigt sich aber deutlich, daß die Bachs, Händel, Gluck, Haydn, Mozart und Beethoven viel stärker mit der Militärmusik' in Verbindung standen als darüber in der Literatur zu lesen ist." Sicherlich ist kaum gerechtfertigt, die Militärmärsche des 18. Jahrhunderts generell auf die gleiche Stufe mit der damaligen Kunstmusik zu stelllen.

12. Der Marsch in seiner letzten bedeutsamen Entwicklungsphase
Durch die Erfindung der Ventile und die Einführung von Ventil-Blechblasinstrumente in die Militärmusik war der Weg bereitet, der dem Militärmarsch zu seiner im Grunde noch heute gültigen Gestalt verhalf.

Exkurs - Die Instrumente
Waren die Trompeter des späten Mittelalters noch länglich, so begann man kurz vor 1400, die Röhre der Trompete zu biegen. "Diese Neuerung im Blasinstrumentenbau revolutionierte das Bild der Trompete. [...] Die bügelförmige Trompete hat sich von etwa 1500 an allgemein durchgesetzt." Zur gleichen Zeit kam auch die sogenannte "Zugtrompete" auf. Der Zug bestand aus einem verlängerten Mundstück, wobei nicht der Zug, sondern die ganze Trompete ein- und ausgeschoben wurde. (Hieraus entstand bekanntlich die Posaune.) Die Hoftrompeter verwendeten bei einfachen Stücken (Signale) die "Feldtrumet", zum Blasen höherer Stimmen (in der Clarinlage) die "Clareta", wie Sebastian Virdung sie in seinem 1511 erschienen Buch "Musica getutscht" abbildet:



Ebenso zeigt Virdung auch "Herpaucken", zu denen er am Schluß seiner Beschreibung vermerkt, es seien "Rumpelfesser"




Improvisierten die Trompeter im Spätmittelalter aufgrund der Beschaffenheit des Instruments (s.o.) nur in tieferen Lagen, so lernten die Trompeter im Laufe des 16. Jahrhunderts auch in der Höhe zu spielen. Fanfare: Dieses Wort, so schreibt Peter Gradenwitz, entstammt "dem arabischen Plural ANFÄR" (Trompete), aus welchem "das in vielen Sprachen bekannte Wort Fanfare - für die Musik von mehreren Trompeten - gebildet wurde [...]. Wird mit "Fanfare" einerseits Trompeten-Musik bezeichnet, so auch das Instrument. Heutige Fanfaren, "mit viereckigem Fahnentuch versehen, sind [...] beliebt sowohl als Repräsentationsinstrument in Diktaturen beiderlei Couleurs als auch in formaldemokratischen Ländern bei Umzügen mit historisierendem Ambiente." Das Instrument ist dabei dem Typ nach die längliche, nicht gebogene Trompete ohne Ventiele (wie sie vor 1400 gebräuchlich war).

Wurde der Marsch, als eine militärische Gebrauchsgattung, bereits im 18. Jahrhundert außerhalb seines eigentlichen, d.h. militärischen Bereichs verwendet, so zunehmend im 19. Jahrhundert. Die Verbindung des Marsches mit nationaler, vaterländischer Gesinnung in Preußen wurde beschrieben. In den Konzerten war der Marsch, neben denen, die spielten, das Signet der Aura des Militärischen schlechthin. Besonders in den Marschtiteln wird nun verstärkt Militärisches oder Nationales zum Ausdruck gebracht. Diese Entwicklung führt in einer Linie zur Militärmusik des Dritten Reiches und ihrer nationalsozialistisch-ideologischen Stellung. 1945 zeigen nicht nur Marschtitel eine "Entmilitarisierung" der Marschmusik, sondern - siehe oben - auch die Kompositionen selber. Aber viele moderne, vor allem von der Unterhaltungsmusik und dem Jazz beeinflußten Märsche mögen einen leicht vergessen lassen, daß die Geschichte des Marsches und seiner gesellschaftlichen Stellung - so sehr man sich einzelner Märsche "an sich" erfreuen mag - nicht immer eine erfreuliche war.